Für die Waage scheint's lustig zu sein, zum Wiegen und Training zu mahnen. (Montage: presseweller)
Mit „Apps“ auf dem Laufenden/ Connected Weight
Glosse
von Georg Hainer
„Na, gestern
wieder geschlemmt?“ bei meiner sprechenden Waage ist vieles
möglich. Solche Kommentare habe ich auch nicht bei der mühevollen
Programmeinrichtung gestrichen. Was soll's. Schließlich will man die
technischen Möglichkeiten angesichts des Kaufpreises nutzen. Auch
nicht gestrichen: „Guten Morgen, über Nacht ein Pfund zugelegt.
Ich melde 72,7“. Bei viel Zurückhaltung geht es auch andersherum:
„Supi, 423 Gramm runter, nur noch 72, 277!“ Ich denke, „danke
Waage“. Sie aber tönt weiter: „Dein Körperfettanteil ist aber
immer noch zu hoch“. Na klasse.
Nach der
mechanischen Waage, die mich 28 Jahre treu begleitet hatte, dachte
ich, „mal was Neues, Topmodernes, digital und so“. Statt
„connected drive“ - also Autos, drahtlos verbunden mit
Smartphoneverbindung, Apps und Co., alos vernetzt - soll es bei mir
nun „connected weight“ sein, Waage mit jederzeitiger Verbindung
zu anderen Geräten, mein Gewicht wird vernetzt. Zu- und Abnahmedaten
und mehr zu Smartphone und W-LAN zu meinem Homedesk, also meinem PC.
Bereits mit Gesundheits- und Fitness-App bestückt, hat mein Phone
nun daher auch die Weight-App, dieses Gewichtsprogramm. Nicht nur
das, sie hat sich von selbst mit allen anderen vernetzt oder
„connected“, wie man heute sagt. Die Apps sagen mir dann beim
Walken auch, dass ich besser noch zehn Minuten weitergehen sollte und
„möglichst etwas schneller“. Meine Waage, wenn ich denn
draufgehe, „spricht“ dann mahnend: „Tipps nur zum Teil befolgt,
aber 225 Kalorien verbraucht, Muskelaufbau 0,02 Prozent, Fettabbau
0,002, Gewicht unverändert.“ Nein, ich habe sie bisher noch nicht
in einem Anfall von Enttäuschung getreten oder ausgetauscht.
Sie ist ja teilweise
auch freundlich, zeigt die Temperatur, Sonnenschein und
Luftfeuchtigkeit an. Bei guten Bedingungen meldet sie dann: „Jetzt
aber raus und ein paar Runden laufen“. Bei ungünstigen
Witterungsverhältnissen: „Sauwetter. Besser drinnen 30 Liegestütz'
oder mal wieder an den Hometrainer.“ Da auch damit „connected“,
weiß Mahnerin Waage, dass ich lange nicht am Hometrainer war,
gestrampelt oder Bankdrücken gemacht habe.
Abgenommen beim
Installieren
Über drei Wochen
ist das Teil nun in Betrieb. Bei der Inbetriebnahme war ich bereits
ins Schwitzen gekommen und habe sicher allein dabei zwei Pfund
abgenommen, immrhin ein Kilo. Die 86-seitige mit Fachbegriffen, Hard-
und Softwarehinweisen für zu verbindende andere Geräte gespickte
Installations- und Betriebsanleitung war zu hoch für mich. Ich rief
meinen Sohn an, der mir aus 400 Kilometer Entfernung hier und da
einen Tipp geben konnte, wie die Grundeinstellungen zu
bewerkstelligen wären und das Smartphone in Verbindung kommen
könnte. Hilfreich, aber nicht genug. Schließlich bat ich einen
guten Bekannten, einen Computerfachmann aus der Nähe, auch meinen
Heim-PC entsprechend einzurichten und vor allem, mir ganz, ganz
langsam zu erklären, wie ich alles aufrufen kann. Man ist ja keine
20 mehr. Siehe da, nach rund drei Tagen funktionierte alles. So
einfach ist moderne IT-Technologie.
Bei Besuch ohne
Ansage
Wenn der Akku dem
Ende zugeht, meldet sich Waage mit einer Art „Haullou“. Okay, an
die Ladestation. Zum Glück verliert sie dabei nicht alle
Einstellungen, sonst müsste ich wieder um Fachhilfe nachfragen.
Jetzt in der 6. Woche ist mein Fettanteil ähnlich hoch wie vorher,
mein Gewicht schwankt in einem Plus und Minus von 1,2 Kilogramm. Da
das Ansageteil nicht leiser gedreht werden kann, sondern übers
Badezimmer hinaus zu hören ist, schalten wir es ab, wenn Besuch im
Haus ist. Trotz „offener Gesellschaft“ muss ja nicht jeder
unseren Fettanteil kennen oder wissen, dass wir heute wohl noch
fünfeinhalb Kilometer laufen müssen.
Hätten wir schon
ein „intelligentes“ Auto, was unser alter Polo nicht ist, der
dafür aber immer brav läuft, wäre eine Verbindung wohl möglich
gewesen. Wahrscheinlich wäre dann unterwegs die Anweisung gekommen:
„Genug gefahren und gesessen, jetzt abstellen und die nächsten
28,4 Kilometer bis zur Zielerreichung besser laufen.“
Es reichte. Die
Waage wurde an Freunde verschenkt, die technisch „in“ und gerne
sportlich aktiv sind. Im Haus ist jetzt wieder eine ganz normale
Waage, die einfach nur das Gewicht anzeigt, keinen Fettanteil und
kein Wetter, und die vor allem nicht „spricht“. Das macht den
Morgen gemütlicher.
Obwohl: Meine
Ehefrau fragte jetzt einmal, ob wir nicht vielleicht für den
Kühlschrank solch ein Gerät, wegen Nachfüllen,
Temperaturhinweisen, Direktverbindung zum Fleischerfachgeschäft usw.
usw. …........... Nein!
Übrigens: keine
Zukunftsmusik, vieles geht schon heute, wenn auch noch nicht alles,
wie hier etwas überspitzt dargestellt.
September 2015
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