Samstag, 25. Februar 2017

Siegener Geschichten: Osterhasen allerorten


Es grünt: Die Ähl am Rosterberg war früher beliebt für Osterspaziergänge. (Fotos: (c) presseweller) 

Erzählung zu Osterfesten in den 1950er-/ -60er-Jahren 


Uns Kindern war es immer eine Lust, alleine durch die Siegener Wälder zu streifen oder mit Eltern und Bekannten Spaziergänge zu machen, bei denen wir die Freude an der Natur festigten und manches Neue entdecken oder erfahren konnten. Schließlich veränderte sich die Natur ständig, bewusst augenscheinlich aber alle paar Monate, so dass sich vor dem Grün der Fichten und Tannen die Birken, Buchen und Eichen mal in zartem, mal in intensivem hellen oder dunklen Grün und zur Herbstzeit mit gelben, roten, braunen Blättern in allen Zwischenfärbungen zeigten, dass die Augen Freudensprünge machten, solch einen Laub- oder Mischwald mit seiner Farbfülle zu sehen - alles geschenkt von Mutter Natur, die diesen gewaltigen Farbrausch inszeniert. Wir sahen Bäume mit Eicheln und Bucheckern sowie Tannen und Fichten, die voller Zapfen hingen – alles den Naturgesetzen um Leben und Überleben und weiterer Verbreitung der Art gewidmet, wie es seit Ewigkeit geht und weiter seinen Lauf nimmt. Die Veränderungen zu Herbst und Winter hin wiederum, wie man es uns erklärte, bewirke auch der natureigene Schutzmechanismus, wodurch die Laubbäume bald ihre Blätter fallen ließen, mit der sie sich ihrerseits gegen die Kälte wappneten und uns die Freude bescherten, durch raschelndes Laub zu gehen. Bei Schnee hatten freilich die Nadelbäume ihren Auftritt, weil ein tief verschneiter Tann, bei dem die üppigen Nadeläste in Weiß gekleidet sind, einfach festlich aussieht, erst recht, wenn es zur Weihnachtszeit ist. So ist einmal das ganze Waldjahr kurz gestreift, aber zur Osterzeit gab es in Kindheitstagen gleichwohl Besonderheiten, wie wir es bei den Spaziergängen im Wald ebenfalls erlebten.

Spannender Ostertag

Bereits einige Tage vor Ostern zogen wir mit Mutter oder Vater in den Wald. Es ging dabei nicht nur darum, von der frisch-würzigen Luft zu kosten, sondern vor allem darum, Moos zu sammeln. Hell-, dunkelgrün und dick wuchs das Moos an manchen Stellen, von dem wir einige schöne Batzen in einen Korb legten und mit nach Hause nahmen, weil daraus Nester entstehen sollten, Osternester, in denen der Hase einen Platz fand, um die bunten Eier abzulegen und vielleicht auch einmal ein Schokoladenhäschen. 



Aus weichem Moos lassen sich treffliche Osternester bauen!


An Ostersonntag nach dem Frühstück konnten wir es kaum abwarten, in Garten und Haus zu schauen, ob der fleißige Osterhase aus seiner Kiepe auch schon Eier in unsere Nester gelegt hatte. Wenn die Zeit dafür gekommen war und Mutter erst einmal am Fenster schaute, ob nun Meister Lampe seinen Dienst verrichtet hatte, wurde ihre Stimme aufgeregter: „Kommt schnell, er war da und geht weiter. Wenn ihr Glück habt, seht ihr ihn noch!“ Da war kein Halten mehr und wir stürmten ans Fenster. „Dahinten! Oh. Jetzt ist er weg!“ Wir wir uns auch bemühten: In den Blick bekommen haben wir ihn nie. Und so ging es unseren Kindern und wohl den späteren Kindergenerationen ebenfalls, weil der Hase einfach zu schnell ist oder nicht gesehen werden will. Es sind diese Geschichten und Legenden, die immer weiter in den Köpfen leben, Neugier, Spannung, Freude und hoffende Träume bereiten, Erzählungen, die schon unsere Eltern pflegten, von uns den eigenen Kindern weitergetragen, die sie wiederum ihren Kindern, unseren Enkeln, vermitteln und die damit ein ständiger Fortlauf der Traditionen und Erinnerungen sind und dem Kindersinn helfen, Eindrücke und Geschichten zu sammeln und zu bewahren und selbst auf Entdeckungen zu gehen. Damals hatten wir noch keinen Osterhasen-Pokemon, der eventuell für die Welt der Smartphones, Spiele und Apps noch kreiiert werden müsste. Oder doch eher nicht! Vielleicht gibt es das auch schon!?



Meist waren Osternester auch noch im Haus versteckt. Gefunden!

Bunte Tupfer im Wald

Für viele andere und uns war der Ostermorgen mit dem Kirchgang verbunden; in unserem Bereich waren das die Martinikirche, die Peter-und-Paul-Kirche, das Gemeindehaus am Rosterberg oder je nach Jahr auch noch die Johanneskirche auf der Eintracht, ein Stück neben dem eingefassten Teich im großen Park, den einst Leonhard Gläser der Stadt gestiftet hatte. Wie bereits am Vorabend zur Einläutung des Festes zur Osternacht und den Feiertagen schienen am Ostersonntagmorgen die Glocken noch intensiver zu klingen als sonst, festlicher, eindringlicher. Bald nach dem Gottesdienstbesuch freuten wir uns auf ein festliches Mittagessen, das in den 1950er-Jahren an solchen Feiertagen ganz anders als alltags war und auch noch ein Stück weit üppiger als sonntags, weil die Eltern sich etwas einfallen ließen, auch wenn die Einkommen in diesen Zeiten meist noch knapp waren und „täglich Fleisch“ nicht auf dem Wochen-Essensplan stand.
Nach der Nachmittagskaffeezeit hieß es „Raus in die Frühlingsnatur“. Die Luft war zur Osterzeit schon weit milder, als noch Wochen zuvor, doch konnte es noch frisch sein, je nach dem wann das Fest war, sodass das Sonntagsgewand noch um Pullover oder wärmendes Wämschen und Mütze bereichert wurde. Manchmal sogar versuchte der Winter noch eine Schneebresche in die zart blühende Landschaftswelt zu schlagen, was ihm meist aber nur kurz gelang, da er schließlich seine Zeit gehabt hatte und sich zumindest bis Ende Oktober zurückziehen musste, um dem steten Erwachen und Erblühen der Natur nicht im Wege zu stehen – so, wie es hierzulande im ständigen Kreislauf des Jahres und seiner Jahreszeiten vorgegeben ist.

Beim Osterspaziergang mit den Eltern lugte hier und da etwas Buntes hinter einem Baum hervor oder lag im leichten Gestrüpp: ein rotes, grünes oder gelbes Osterei, manches Mal auch eines in einer Braunfärbung, wofür färbender Zwiebelsud Pate stand. Keine Frage, dass hier der Osterhase mit seiner Kiepe umhergehoppelt war und üppig seine Fracht verteilt hatte. Üppig deshalb, weil auch andere Kinder, die vorher oder hinterher mit ihren Eltern über die Waldwege spazierten, mit Eiern bedacht worden waren oder wurden. Für jeden etwas. Und wenn wir in unseren Köpfchen darüber nachdachten und der Mutter sagten: „Mama, das ist wie vor Weihnachten wie beim Nikolaus, nur jetzt ist es früher“, dann musste sie schmunzeln: „Ja, so ähnlich ist es.“
Nun aber hatte der Osterhase seinen großen Auftritt in Gärten, Häusern und im Wald, und da er nie dabei gesehen wart, glänzte er auf seiner Bühne mit den gut gefüllten Nestern, die er  damals wie heute hinterließ. Vater und Mutter erzählten, wie fleißig er wäre und dass er alle Hände voll zu tun hätte, weil er schon vormittags in den Gärten und Häusern unterwegs sei und nachmittags in Wald und Flur und weil es schließlich doch allerorten Kinder gebe, die zum großen Christenfeste auf diese besonderen Eier warteten, die trefflich schmeckten, aber zum Teil auch noch einen Mitnutzen hatten.

Eier kippen und rollen

Die Ostereier waren zu mehr zu gebrauchen, als sie nur schnöde zu essen. Dieser Mitnutzen kam dann, wenn wir mit anderen Kindern die Eier „kippten“; so heißt das bei uns – und überall wieder anders -, wenn eine Art Härtetest gemacht wurde. Jeder hatte ein Ei in der Hand, und so schlug man es beim anderen an, zuerst an der Spitze, dann an der runden flacheren Stelle. Das ging abwechselnd. Welches hält? Im Normalfall musste das gesprungene Ei an den „Sieger“ abgegeben werden, auf jeden Fall aber wurden die zerdöpperten Eier gegessen. Manchmal hatte man ein Ei, dass alle Anstöße der anderen aushielt, und so mancher sagte sich dann: „Das ist so fest, das behalte ich mal noch für ein nächstes Spiel.“ So reihte es sich erst einmal in die Reihe der ungegessenen Eier ein. Wir ließen Eier auch kleine Hänge hinunterrollen, um zu sehen, welches am weitesten lief, und wir warfen auf Wiesen Eier in die Höhe oder, viel praktischer, über die Wäscheleine, wobei es wieder darum ging, welche Eier die Prozedur überstanden. Eier wurden gerne gegessen, weil sie ein wertvolles und gehaltvolles natürliches Nahrungsmittel sind. Und ist das Ei, wenn es befruchtet ist, nicht zugleich das Symbol neuen Lebens, irdisch vergänglich und wie die Frühjahrs-Natur immer erzählend vom ewigen Werden und Vergehen?



Hat es überstanden oder wurde es noch gar nicht "gekippt"?


Schon die Eltern erzählten uns damals, wie deren Eltern und unsere Großeltern wohl auch, dass Ostern ein großes Fest der Christenheit ist, weil Jesus' Auferstehung gefeiert wird, wobei wir unserem christlichen Glauben nach in den Zyklus von Palmsonntag an über Karfreitag eingebunden waren, von Einzug, Abendmahl, Kreuzigung und Tod bis zur Wiederauferstehung. Nach dem besonderen Fasttag an Karfreitag hatte mit Ostern die Fastenzeit ein Ende, an die sich die einen mehr und die anderen etwas weniger hielten, wobei denn doch zumindest an Karfreitag Fastengerichte, häufig mit Fisch in durchaus leckeren Zubereitungen, auf dem Tisch standen, Und so war es für viele ein Wohlgefühl, spätestens ab Ostersonntag wieder ein üppigeres Mahl kosten zu können. 


In der Schulzeit erfuhren wir, dass das Wort Ostern wohl auf den Namen einer germanischen Frühlingsgöttin, Ostara, zurückzuführen ist, was aber nicht eindeutig ist, dass Menschen jüdischen Glaubens um die Osterzeit das Passahfest (heute oft auch als Pessach bezeichnet) feierten. Zur Osterzeit gibt es viele Bräuche wie die Osterfeuer und geschmückte Brunnen, weil Wasser ein Zeichen des Lebens ist, Osterlämmer und vieles mehr. Ostern ist ein „bewegliches“ Fest, das je nach Art einen anderen Termin hat, jahreszeitlich doch stets mit dem Frühling verbunden, dem Erwachen der Natur. (Georg Hainer)

In diesem Blog sowie auch über die Webseite http://www.buch-juwel.de lassen sich zahlreiche Gedichte und Geschichten sowie mehrseitige Magazine ohne Anmeldung aufrufen. Ein Teil dieser Erzählung ist für die Ausgabe 4 der Reihe "Früher in Siegen" vorgesehen. Mit diesem Beitrag sollten beim Verlag auch frühere Erzählweisen wieder eingeführt werden.